Norwegen macht‘s vor
Norwegen setzt die Messlatte für den Rest der Schifffahrtsindustrie hoch, wenn es um Innovation und Technologie sowie um Investitionen in beiden Bereichen geht. Die jahrhundertelange Tradition in der Schifffahrt, die jahrzehntelange Erfahrung in der Öl- und Gasindustrie und der größte Staatsfonds der Welt verschaffen dem Land einen beneidenswerten Vorteil, wenn es darum geht, die Herausforderungen in der Schifffahrt zu meistern.
Diese Führungsposition nimmt das Land mit angemessener Ernsthaftigkeit ein. Es besteht kein Zweifel daran, dass Norwegens Eigner, Banken und Aufsichtsbehörden mit gutem Beispiel für die Zukunft vorangehen wollen. Sie wissen jedoch auch, wie groß die Herausforderung ist, die vor ihnen liegt.
Das Schlüsselwort ist natürlich Zusammenarbeit, aber Knut Arild Hareide von der norwegischen Schifffahrtsbehörde ist der Meinung, dass auch mehr Vertrauen nötig ist, um die Schifffahrt intelligenter zu gestalten.
„Vertrauen durch Taten aufzubauen ist schwieriger als durch Worte, aber das ist genau das, worauf Beziehungen beruhen“, erklärte er. „Wir haben Ziele, aber wir brauchen Taten – und zwar mehr davon, und schneller.“ So betonte er, dass es das Wort „Zusammenarbeit“ im Norwegischen nicht gebe – das am ehesten zutreffende Wort sei Kooperation, „aber genau das ist es, was wir brauchen“.
Die Bewältigung der Dekarbonisierungsherausforderung der Industrie wird zunehmend von Banken vorangetrieben. Kjersten Braathen, CEO der Det Norske Bank, ist der Meinung, dass „keiner von uns schnell genug handelt“.
Die Schifffahrt brauche Wege, wie sie ihre Ziele erreichen könne, und die Finanzindustrie werde ihre eigenen Ziele setzen, um den Fortschritt voranzutreiben. „Es ist ein intensiver gemeinsamer Kraftakt, Lösungen zu finden und gleichzeitig die Umstellung unter Abwägung von Belastung und Kosten nachhaltig zu gestalten. Wir werden die Belastungen auf uns nehmen müssen, und wir müssen klüger mit dem Thema Energie umgehen und die Nachfrage reduzieren.“
Sie begrüßte Marktmaßnahmen wie die Poseidon Principles, die Transparenz in die Kohlenstoffemissionen des Seeverkehrs bringen und ein Instrument bieten, um zu verstehen, wo die Akteure stehen und in welche Richtung sie gehen müssen. „Es handelt sich dabei nicht um eine einmalige Maßnahme, sondern um einen dynamischen Prozess zur Erstellung einer Art Wegweiser“, fügte sie hinzu.
Um in Zukunft Zugang zu Kapital zu erhalten, gelten einfache Regeln: „Eine Nachhaltigkeitsstrategie und eine klare Vorstellung davon, in welche Richtung Sie gehen; wo müssen Sie bis 2030 ankommen, um bis 2050 Ihr Ziel zu erreichen?“
Die führenden Unternehmen zeigen, dass sie in der Lage seien, eine bessere Finanzierung zu erhalten, so Braathen, aber es werde „eine Menge Arbeit erfordern, und daran führt kein Weg vorbei“.
Gyrid Skalleberg Ingero von Kongsberg stimmte dem zu und stellte fest, dass die Nutzung nachhaltiger Finanzierungsformen – bei denen Geld gegen eine Messung der Nachhaltigkeit des Projekts gewährt wird – schnell zunimmt. Sie schätzt, dass der Anteil nachhaltiger Finanzierungen am nordischen Anleihemarkt im Jahr 2021 etwa 20 % und in Norwegen 13 % betragen wird (gegenüber 2 % im Jahr 2020).
Kongsberg verfüge über Lösungen, die für eine grüne Finanzierung in Frage kämen, aber der Prozess sei alles andere als einfach. Die Kosten für die Berichterstattung und die Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften könnten in der Praxis sogar den vom Markt gewährten Rabatt ausgleichen.
Das Fehlen globaler Standards für ESG bremse den Fortschritt, argumentierte sie. Der Prozess habe schon viele Fortschritte gemacht, sei aber noch nicht abgeschlossen. Sie befürworte den Ansatz jedoch trotzdem: „Der Zeit voraus zu sein, ist definitiv ein Vorteil. Es besteht ein Gefühl der Dringlichkeit – wir müssen Taten sprechen lassen, und umweltfreundliches Handeln ist gleichzeitig gutes Marketing. Privates Kapital kann uns helfen, die grüne Wende zu beschleunigen.“
Für Stéphane Boujnah, CEO der Börse Euronext, versucht die Weltwirtschaft – einschließlich der Schifffahrt – immer noch, das Emissionsproblem bis zur letzten Minute zu umgehen. „Wir bewegen uns an einem Punkt des binären Widerspruchs zwischen CO2 und Demokratie. Wir versuchen, die Welt sauberer zu gestalten, während wir gleichzeitig Kohleminen in ganz Europa wieder eröffnen.
Die Fit-for-55-Verordnung der EU, die eine Taxonomie für die Messung von Emissionen enthält, werde Investoren helfen, schneller herauszufinden, wie sie Entscheidungen treffen können. „Sie wird einen Weg forcieren, den die Investoren bereits eingeschlagen haben; nämlich dass schlichtweg keine andere Wahl besteht. Vor fünf Jahren war die Gewinnung von ESG-Investoren eine Möglichkeit, das eigene Portfolio zu diversifizieren; jetzt ist es die Art und Weise, wie man seine Investoren bei der Stange hält“, sagte er.
Das Volumen des ESG-Index von Euronext habe 2020 bei 250 Milliarden Euro und 2021 bei 500 Milliarden Euro gelegen, was er als „eine grundlegende Veränderung des Anlegerverhaltens“ bezeichnete.
„An dieser Stelle sind die Investoren die treibende Kraft: Sie wollen Dividenden, Liquidität und Beiträge zum ESG. Wir müssen jetzt denken wie Norwegen, um Teil der Lösung zu sein. Die Veränderungen, die jetzt auf die Schifffahrtsunternehmen zukommen, verleihen dem norwegischen Clean-Tech-Sektor noch zusätzliche Bedeutung.“