Die Daten sind frei (und die Gedanken dann irgendwann auch)
Während sich viele Teile der Welt nach wie vor im Lockdown befinden, hieß es bei Veranstaltungen in der Schifffahrt auch nun wieder: eine neue Woche, ein neuer Podcast. In dieser Woche hielt Riviera Maritime Media eine Reihe von Online-Seminaren zum Thema Digitalisierung und Daten ab.
Bei dem ersten dieser Seminare ging es darum, Fortschritte in der Technologie in den Kontext dessen zu stellen, was die Daten liefern können – und wie viel Arbeit noch getan werden muss, um die Standards zu schaffen, die nachhaltige Kosteneinsparungen und eine bessere Umweltleistung ermöglichen.
Nick Chubb, ein Berater im Bereich Digitalisierung, wies darauf hin, dass „schon die Erarbeitung von Standards schwierig sein kann, aber die wirkliche Herausforderung ist ihre Durchsetzung – egal ob es sich um elektrische Stecker, Finanztransfers, Dateitypen oder Datenformate handelt. Das Problem bei der Entwicklung eines universellen Standards ist, dass man am Ende doch nur noch einen weiteren von vielen hat“.
Als Lektion aus der Geschichte bot sich natürlich Malcolm McLean an, der Vater der Containerisierung und Gründer von Sea-Land, der, als er mit konkurrierenden Containerformaten konfrontiert wurde, das Patent an die ISO verschenkte, auf diese Weise die 20-Fuß-Box zur Standardgröße machte und damit reich wurde.
„Daten zu teilen macht sich schnell bezahlt, aber damit sich Standards durchsetzen können, braucht man drei Dinge: Es müssen massive Effizienzgewinne möglich sein, die Daten müssen frei verfügbar sein, und jeder muss seinen Beitrag leisten können“, ergänzte er.
Ein gutes Beispiel für eine solche Zusammenarbeit ist die Digital Container Shipping Association, die versucht, gemeinsam zu erreichen, was die einzelnen Linien für sich seit Jahren versäumt haben. Die Gruppe hat 70 Prozent der weltweiten Container-Kapazität an eine neutrale, gemeinnützige Open-Source-Container-Tracking-Plattform gebunden.
Henning Schleyerbach, COO von DCSA, merkte an, dass die Mitglieder der DSCA aus wirtschaftlichen Gründen Millionen in die Nachverfolgung – die Geräte, die mitunter genauso viel kosten wie ein Container – investieren werden. „Das System kann Sie benachrichtigen, wenn der Container geöffnet wird oder wenn Stöße oder Temperaturschwankungen und sogar Veränderungen hinsichtlich des Zustands der Ladung auftreten“, erklärte er.
Die Herausforderung für die Linien besteht darin, dass einige Container mit gecharterter Tonnage befördert werden, was bedeutet, dass es keine einheitliche Konnektivität und keinen dominierenden Technologiestandard für den Datentransfer gibt. Die Bemühungen um einen zuverlässigeren Satz von Tracking-Daten gehen weiter.
Der Verband setzt sich auch für die Förderung der Just-in-Time-Verschiffung ein, mit dem Ziel, schätzungsweise drei bis fünf Millionen Tonnen CO2 einzusparen, die durch Wartezeiten in Hafen- und Küstengebieten entstehen: „Das entspricht etwa 15.000 Langstreckenflügen mit einer Boeing 747. Eine termingerechte Ankunft ist das Kriterium Nummer eins, aber wir glauben, dass wir auch Kosten und Emissionen sparen und die Zuverlässigkeit des Zeitplans erhöhen können“.
P&O Maritime Logistics arbeitet an einem Digitalisierungsprozess, von dem das Unternehmen hofft, dass er nachhaltige Rentabilität für sein Offshore-, Hafen- und Logistikgeschäft bringt, und die treibende Kraft dahinter ist von entscheidender Bedeutung: Es geht ums Überleben.
„Die Branche war in den letzten fünf Jahren mit Instabilität und Preisänderungen konfrontiert, unter denen wir stark gelitten haben“, so CEO Martin Helweg.
„Strukturelle Veränderungen haben dazu geführt, dass wir das Geschäftsmodell neu erfinden mussten, und die aktuelle Pandemiesituation stellt eine noch größere Herausforderung dar; wir müssen Kosten senken, den Status quo ändern und uns unseren Kunden anpassen.“
Das Unternehmen hat die Digitalisierung als „Business Enabler“ eingeführt, um zu versuchen, seine organisatorische Denkweise zu ändern. Man will sich auf Daten konzentrieren, die durch Enterprise IoT erzeugt werden, aber Helweg warnte davor, Daten als „kostenpflichtige Ware“ zu betrachten.
„In Automobil- und Smart Cities werden Daten als Wertschöpfungstreiber gesehen. In der Schifffahrt können wir von den Vorteilen einer zustandsabhängigen Wartung zur Kostenreduzierung profitieren. Der Kunde verlangt diesen Wandel hin zu einem digitalisierten Dienst, so dass wir die Technologie nicht als Kostenfaktor, sondern als Umsatztreiber behandeln müssen“, sagte er.
Die zunehmende Bedeutung der gemeinsamen Nutzung von Ressourcen und Daten veranlasste P&O Maritime Logistics zur Gründung von www.maritimestats.com als offene Plattform für den Datenaustausch in der Branche – eine Initiative, von der Helweg glaubt, dass sie Vorteile für die gesamte Branche haben könnte.
Da es nur wenige gemeinsame Schiffbaunormen gibt, beschrieb Helweg die Aktiva seines Unternehmens als „eine Bastard-Flotte in Bezug auf Typen und Merkmale, und das sieht bei anderen Reedereien auch nicht anders aus. In den nächsten Jahren wird es weniger Investitionen in Neubauten geben. Stattdessen müssen wir agnostische Datenplattformen entwickeln, die mit all unseren unterschiedlichen Systemen funktionieren“.
Für die DSCA könnte diese Denkweise zu neuen Anwendungsfällen führen, wenn z. B. ein intelligenter Container die Ladung, die er befördert, kennt und diese Daten zur Sicherheitswarnung an andere Einheiten senden kann. „Es gibt wichtige Fragen im Cyberbereich, die es im Hinblick darauf, was wir senden können, zuerst zu beantworten gilt. Aber es ist noch nicht lange her, dass Unternehmen mobile Internet-Lizenzen gekauft haben, bevor wir wussten, was wir damit überhaupt anfangen können“, fügte Schleyerbach hinzu. „Anfangs sieht es vielleicht nicht so aus, als würde es sich auszahlen, aber wir brauchen mehr und neue Anwendungsfälle.“
Helweg ging sogar so weit, die Kommentare in einem kürzlich hier veröffentlichten Artikel aufzugreifen und argumentierte, dass „der beste Weg Open Source ist. Es gibt keinen Wert in den Daten an sich, er steckt in der Auswertung. Wenn wir das nicht auf die Reihe bekommen, werden wir keine Fortschritte machen. Man sollte Daten nicht hacken müssen, sondern kostenlos Zugriff darauf haben”.
Chubb stimmte zu, dass die Tendenz nach wie vor zum Sammeln von Echtzeitdaten gehe, in der Hoffnung, dass dies einen Minuten- und Sekundenvorteil bringe. „Es muss nicht in Echtzeit sein, und mehr Bandbreite ist auch nicht immer die Lösung. Man kann sich historische Daten aus sechs Monaten ansehen und mit einer soliden Auswertung gute Ergebnisse erzielen.“
Kurzfristig ist die Branche den Märkten und den anhaltenden Störungen durch das Coronavirus sowie den Ölpreiskrieg ausgeliefert. In der Zeit nach dem Coronavirus werden Investitionen wahrscheinlich knapp bemessen sein. In zwei Umfragen, die während des Online-Seminars durchgeführt wurden, gaben 58 Prozent der Teilnehmer an, dass sie glauben, dass ihr Unternehmen in naher Zukunft die erforderlichen Mindestinvestitionen in neue Technologien sicherstellen wird.
Und wo würden neue digitale Standards umgesetzt werden? Etwa 60 Prozent waren der Meinung, dass nur neu gebaute Schiffe davon profitieren würden, während ältere Schiffe vernachlässigt würden. Dies deute darauf hin, dass die Branche zwar enorm von der gemeinsamen Nutzung von Daten profitieren könne, dass allerdings auch ein freieres Denken erforderlich sei, um den Prozess in die Tat umzusetzen.