Glasgow, wir haben ein Problem
Die COP26 in Glasgow war geprägt von hochtrabenden Erklärungen und ehrgeizigen Verpflichtungen, um Netto-Null- oder Null-Emissionen zu erreichen, und insbesondere die Schifffahrt stand dabei oft im Mittelpunkt. Anschließend war die Enttäuschung groß, dass die IMO sich nicht auf ein ähnliches Ziel einigen konnte, nämlich über das Ziel einer 50-prozentigen Reduzierung des CO2-Ausstoßes bis zum Jahr 2050 hinauszugehen und stattdessen bis zu diesem Datum einen Ausstoß von netto null zu erreichen.
Das war angesichts der Unterschiede zwischen Veranstaltungen wie der COP und einem IMO-Ausschuss aber auch nicht anders zu erwarten. Es gibt jedoch noch ein größeres Problem. Nicht erst seit der COP26 in Glasgow geben die Lieferketten Stück für Stück unter dem Gewicht der Nachfrage nach, während gleichzeitig die Energiepreise immer weiter steigen und die Lage in Osteuropa aus dem Ruder zu laufen droht.
Nun sind wir im Februar 2022 und es scheint, dass die Realität der Geopolitik und der Energieversorgung den „ökologischen Imperativ“ überholt hat.
So sieht es jedenfalls ein Analystenteam, das von IHS Markit für ein Webinar zusammengestellt wurde, um die weitere Entwicklung zu diskutieren. Carlos Pascual, Senior Vice President, Global Energy, Economics & Country Risk, wies darauf hin, dass hohe Energiepreise das Potenzial haben, die Wahlpolitik zu beeinflussen und Maßnahmen zum Klimawandel von der Tagesordnung zu verdrängen.
Höhere Verbraucherpreise zu einer Zeit, in der geplant ist, billige fossile Brennstoffe gegen teure Alternativen einzutauschen, machen für Durchschnittsverbraucher wenig Sinn – vor allem, wenn die OPEC offenbar in der Lage ist, ihren Verpflichtungen nachzukommen und genügend Öl und Gas zu liefern.
Pascuals Kollege Roger Diwan brachte es auf den Punkt: „Für mehrere sich parallel zuspitzende Energiekrisen gibt es keine schnelle Lösung. Ein Teil der Auswirkungen mag vorübergehend sein, aber die Angst vor eventuellen Beeinträchtigungen sorgt für Chaos. Die Energiemärkte müssen sich auf kurz- und langfristige Probleme einstellen; dies ist eine Krise von generationenübergreifendem Ausmaß, ähnlich wie in den 1970er-Jahren.“
Wir wollen uns nicht damit aufhalten, wie viele Leserinnen und Leser sich wohl an die 1970er erinnern, sondern vielmehr darauf hinweisen, dass die sehr angespannten Märkte in einer Zeit instabiler geopolitischer Verhältnisse problematisch sind. „Für 2030 ist es leicht zu investieren, aber für die nächsten fünf Jahre ist das deutlich schwieriger“, fügte er hinzu.
Werden die Preise steigen? Diwan sieht keinen Konsens bei den Aussichten und erwartet daher mehr Volatilität. So ergänzte er: „Das Risiko geht eindeutig nach oben.“
Geraten die Länder angesichts der Engpässe bei der Energieversorgung und der Bedrohung der Stabilität also ins Wanken, was ihre Zusagen auf der COP26 betrifft? Die Ergebnisse der COP26 waren laut Paul McConnell bestenfalls gemischt und weitgehend uneindeutig. Zwar seien einige Zusagen gemacht worden, aber nur wenige aus den Schwellenländern, in denen die meiste Arbeit geleistet und das meiste Geld investiert werden müsse.
„Die Politik kommt der Umsetzung in die Quere und die Zusagen werden zurückgefahren“, beobachtete er. Das Argument, dass ein schnellerer Übergang gleichbedeutend mit größerer Energiesicherheit ist, werde nicht helfen, da solche Verpflichtungen immer hinter der Politik zurückstünden.
Ein kleiner Lichtblick ist, dass die Klima-Agenda über die Politik hinausgehen kann. Wenn Maßnahmen ergriffen werden (oder zumindest Zusagen gemacht werden), handelt es sich um ein Unternehmensziel und nicht um Regierungspolitik, und die Treiber des Wandels sind vom Gesamtbild abgekoppelt.
Ähnlich wie schon in der Coronapandemie sind die Maßnahmen je nach Region unterschiedlich. Der Afrika-Experte Natznet Tesfay wies darauf hin, dass trotz der Konzentration auf die Bereitstellung internationaler Klimafinanzierung ein Großteil der zugesagten Mittel nicht zustande gekommen sei. Aufgrund der hohen Verschuldung benötigten die afrikanischen Staaten enorme Summen – bis zu 250 Milliarden US-Dollar pro Jahr – um eine saubere Energiewende zu erreichen.
Aus China kämen widersprüchliche Signale, aber die übergreifende Botschaft sei, dass das Land seine Emissionsziele erreichen wolle – unter dem Vorbehalt, dass die wirtschaftliche und energiepolitische Stabilität Vorrang habe. China sei sich des Risikos, das die Klimaziele für den Aufschwung darstellen, durchaus bewusst, so der Analyst David Li.
„Chinas Politik besteht darin, die Energieversorgung zu sichern, koste es, was es wolle. Und nun wird das Land mit der Realität dieser Verpflichtungen konfrontiert. Das Ganze ist sehr kurzfristig gedacht, und die chinesische Regierung nimmt das so hin, weil es ihr ja vor allem auf die wirtschaftlichen Zahlen ankommt“, fügte er hinzu.
Er betonte, dass die Richtung vorgegeben sei. Im Inland gehe es darum, die Luftverschmutzung zu verringern, die Infrastruktur zu modernisieren, die Wirtschaft umzustrukturieren und die Verwaltung zu verbessern, und nichts davon werde durch eine kurzfristige Flaute verschwinden.
Auch in Europa gibt es große Probleme, wo die EU letztes Jahr ihr ‚Fit for 55‘-Paket vorstellte, das der Analyst Laurence Allan als „die wichtigste politische Maßnahme seit 10 Jahren“ bezeichnete. Fragen der Energiesicherheit rückten immer mehr in den Vordergrund und die Kommission sei darum bemüht, den Übergang trotz offensichtlicher Hürden schnell zu vollziehen.
Ihre Ziele stünden im Gegensatz zu den fortlaufenden Investitionen in die Gasinfrastruktur in Mittel- und Osteuropa und der Tatsache, dass die Kohleindustrie nach wie vor ein wichtiger Arbeitgeber sei. Jede größere Maßnahme zur Einschränkung der Produktion eines der beiden Produkte werde wahrscheinlich zu Problemen führen.
Wie Allan betonte, könnten die negativen Auswirkungen auf die Verbraucher dazu führen, dass sie den längerfristigen Plan nicht mehr so bereitwillig akzeptieren. Lokale Initiativen könnten der globalen Dynamik zum Opfer fallen und es werde immer deutlicher, dass die Energiewende hart und untrennbar mit der Politik verbunden ist.
Oder wie Pascual es abschließend formulierte: „Der Klimawandel wird sich nicht einfach Luft auflösen – die Herausforderung besteht weiterhin darin, wie wir mit ihm umgehen.“