Atomkraft – bald auf einem Schiff in Ihrer Nähe?
Ist es möglicherweise bald soweit und Sie fahren auf einem Containerschiff, einem Massengutfrachter oder einem Kreuzfahrtschiff mit Atomantrieb? Die Antwort ist nein, aber eines Tages ist dies vielleicht der Fall. Wie weit dieser Tag von der Realität entfernt ist, hängt von mehreren Faktoren ab.
Dazu gehören die Bausteine Technologie und Regulierung, ohne die ein nachhaltiger Fortschritt nicht möglich ist. Die Marktakzeptanz und die öffentliche Wahrnehmung könnten jedoch die Hindernisse sein, die einer breiten Einführung der Kernenergie entgegenstehen.
Die Kernenergie ist als Energiequelle für die Schifffahrt wieder im Gespräch, da die Kohlenstoffemissionen weltweit gesenkt werden müssen – insbesondere vor dem Hintergrund der jüngsten Sitzung des Ausschusses für den Schutz der Meeresumwelt (MEPC 80) der IMO. Während die Ziele für die Verringerung der Kohlenstoffemissionen bis 2030 auf 20 % gesenkt wurden, strebt die IMO nun eine Verringerung um 70 % bis 2040 an, mit dem Ziel, bis 2050 Netto-Null-Emissionen zu erreichen.
Natürlich wird die Kernenergie bereits als Energiequelle in Marine- und Eisbrecherschiffen genutzt, aber ihre Einführung als regulärer Schiffskraftstoff war aus praktischen Gründen bisher nicht vorgesehen.
Die jüngste Welle des Interesses rührt von der Möglichkeit her, eine alte Nukleartechnologie zu nutzen und sie unter Verwendung kleiner, modularer Reaktoren als „neue Nukleartechnologie“ wiederzuverwenden. Die Unterstützer dieser Technologie sind der Ansicht, dass sie erhebliche Vorteile bietet. Insbesondere benötigen derartige Anlagen keinen festen Brennstoff, so dass sie während ihres Einsatzes auf See nicht mehr aufgetankt werden müssen. Außerdem entfällt die Notwendigkeit, Abfälle zu behandeln oder zu entsorgen, bis ein Schiff verschrottet wird.
Das größte Hindernis aus der Sicht der Reedereien sind die etablierten Geschäftsmodelle in der Schifffahrt, bei denen die meisten Handelsschiffe nicht täglich vom Eigner selbst betrieben werden, sondern von einem Charterer auf Spot- oder Zeitcharterbasis.
Die Schiffseigner finanzieren und warten die Schiffe in der Regel und können sie auch betreiben oder verwalten, aber der Charterer bezahlt den Treibstoff meist im Rahmen der Reisefracht oder der vereinbarten Zeitcharter.
Die Umstellung auf ein Schiff mit Atomantrieb würde ein Überdenken der finanziellen Beziehungen in der Schifffahrt erfordern, da der Bau solcher Schiffe wesentlich höhere Vorabinvestitionen erfordern würde und der Betrieb möglicherweise teurer wäre, obwohl sie nicht aufgetankt werden müssten.
Der größte Vorteil besteht darin, dass die Kernenergie im Betrieb keine Emissionen verursacht und somit ein Mittel zur Senkung der finanziellen Risiken darstellt. Für kommerzielle Trampschiffe ist dies jedoch nicht geeignet – zumindest nicht kurzfristig – aber wenn ein Schiff gebaut und für seine gesamte Lebensdauer gechartert wird, ließe es sich einrichten.
Wenn man die Kosten für ein Atomschiff und den Reaktor als Ganzes betrachtet, werden die Kosten für den Rumpf – normalerweise die Grundlage für die Bewertung von Vermögenswerten – marginal. Während die hohen Anfangskosten für den Bau und die Betankung eines Kernreaktors eine Nachrüstung bestehender Schiffe verhindern, könnten die Einsparungen während der Lebensdauer und der Restwert des Kernbrennstoffs am Ende der Betriebsdauer eines Schiffes das Finanzierungsmodell erheblich verändern.
Einer der Befürworter neuer Salzschmelzenreaktoren hat das Risiko damit verglichen, den gesamten Brennstoff im Voraus zu bezahlen (jedoch ohne Emissionen und ohne Verringerung der Schiffsleistung). Dies ist ein überzeugendes Argument, aber es setzt voraus, dass die Eigentümer mit einem Finanzierungsmodell arbeiten können, das es in diesem Sektor noch nie gegeben hat.
In der Branche wird derzeit viel über die Zusammenarbeit und die Neugestaltung der Geschäftsbeziehungen gesprochen, die für eine nachhaltige Senkung der Kohlenstoffemissionen erforderlich sind. Allerdings tragen diese Bemühungen bisher kaum Früchte.
Entscheidend ist, dass die Kernenergie immer noch die negative öffentliche Einschätzung überwinden muss, ähnlich wie bei unbemannten Passagierflugzeugen. So ein Plan mag verlockend klingen, aber wie weit kann man ihm trauen?
Es gibt aktuell noch wesentlich mehr Fragen als Antworten, aber es ist klar, dass der Weg bis zu einer möglichen Umsetzung sehr langwierig sein wird, da es sich bei der Kernenergie um einen völlig neuen Ansatz handelt und nicht um einen neuen Flüssig- oder Gasbrennstoff für einen Verbrennungsmotor. Es handelt sich nicht um eine Technologie, bei der bestehende Vorschriften erweitert oder Gleichwertigkeit eingeräumt werden kann.
Selbst wenn es Vorschriften für den Seeverkehr gibt, wie z.B. unbemannte Schiffe oder gefährliche Ladungen, könnten örtliche Behörden es ablehnen, atomgetriebene Schiffe in ihre Häfen einlaufen zu lassen. Die Öffentlichkeit muss umfassend aufgeklärt werden, und im Zeitalter der Desinformation und der polarisierten öffentlichen Wahrnehmung – ganz zu schweigen von den Interessen der Produzenten fossiler Brennstoffe – muss es sowohl Anreize als auch Vorgaben geben.
Da sich die Technologie noch in der Entwicklungsphase befindet, sind die Finanzierung, die Technologie und die öffentliche Wahrnehmung theoretisch, aber es wird erwartet, dass in diesem und im nächsten Jahr groß angelegte Pilotprojekte beginnen. Mehrere Konzerne, die über Erfahrung mit Nuklearprojekten verfügen, arbeiten an der Kommerzialisierung dieser Konzepte. Derweil nutzen japanische und koreanische Schiffsbauer die industriellen Wurzeln ihrer Muttergesellschaften, um die Möglichkeiten im Bereich der Schifffahrt weiterzuverfolgen.
Trotz der genannten Hindernisse gewinnt die Kernkraft als möglicher Weg zur emissionsfreien Schifffahrt zunehmend an Bedeutung. Die Klassifikationsgesellschaft American Bureau of Shipping (ABS) gehört zu denjenigen, die sich mit dem Potenzial dieses Antriebs befassen, und hat kürzlich eine Studie über die Auswirkungen der Installation eines nuklearen Antriebs auf ein 14.000-Tonnen-Containerschiff und einen 157.000-Tonnen-Suezmax-Tanker in Auftrag gegeben.
Für das Containerschiff wurden in der Studie die Auswirkungen der Installation von zwei bleigekühlten (statt Salzschmelzen) 30-MW-Schnellreaktoren modelliert und festgestellt, dass dies sowohl die Ladekapazität als auch die Betriebsgeschwindigkeit erhöhen würde. Im Falle des Suezmax-Tankers untersuchte die Studie die Installation von vier 5-MW-Wärmerohr-Mikroreaktoren, die die Ladekapazität verringern, aber auch die Betriebsgeschwindigkeit erhöhen würden.
In beiden Fällen wurde der Bedarf an Betankung drastisch reduziert, wobei das Containerschiff während einer typischen Lebensdauer von 25 Jahren keine Betankung benötigt und das Tankschiff nur eine einzige Betankung in 25 Jahren.
Die Ergebnisse sind natürlich rein theoretisch, aber sie veranschaulichen, warum es sich die Schifffahrtsindustrie nicht leisten kann, das Potenzial des Atomantriebs zu ignorieren, sowohl im Hinblick auf die Emissionsreduzierung als auch auf die betriebliche Effizienz. Die praktische Umsetzung einer „Netto-Null“-Welt liegt noch in weiter Ferne, aber wenn die Branche es mit der Senkung ihres Kohlenstoffbeitrags ernst meint, wird die Kernenergie eine Rolle spielen müssen.