Sozialschutz, soziale Mobilität und die Zukunft der Seefahrt
Die vergangenen 18 Monate haben die kollektive Unfähigkeit der Schifffahrtsbranche –Wohlfahrtsverbände, Unternehmen, Gewerkschaften und sogar die IMO – gezeigt, die Regierungen davon zu überzeugen, den Bedürfnissen der Seeleute in einer Krise Priorität einzuräumen.
Von einigen Ausnahmen abgesehen, haben die Staaten es wiederholt versäumt, gegen die anhaltende Krise beim Wechsel von Besatzungsmitgliedern vorzugehen. Wenn es darum geht, sich für die Rechte von Seeleuten insgesamt einzusetzen, bedarf es eindeutig einer stärkeren Lobby und einer besseren Koordinierung.
Zu diesem Schluss kommt ein neuer Bericht des Beratungsunternehmens Thetius, in dem untersucht wird, wie sich die Rolle von Seeleuten in den kommenden drei Jahrzehnten verändern wird und wie diese Veränderungen mit der Rolle des Sozialwesens bei der Unterstützung von Seeleuten in Einklang gebracht werden können.
Dies ist ein Problem, das weit mehr erfordert, als betroffenen in der Krise eine Stimme zu geben, heißt es in dem Bericht. Noch wichtiger ist die Fähigkeit, sich für die Verbesserung der Qualität der Beschäftigungs- und Ausbildungsstandards, für eine bessere Versorgung an Bord und für einen besseren Schutz der Seeleute vor Rechts- und Haftungsfragen einzusetzen.
Die Abhängigkeit der Branche von Sozialleistungen ist zwar sehr gut gemeint und absolut notwendig, aber auch ein Problem, das gelöst werden muss. Kein anderer moderner Beruf ist so stark auf ein Netz gemeinnütziger Organisationen angewiesen, um grundlegende soziale Aufgaben zu übernehmen, für die normalerweise ein landseitiger Arbeitgeber zuständig wäre.
Mit Blick auf das Jahr 2050 sagt der Bericht voraus, dass sich wahrscheinlich zwei Bevölkerungsgruppen von Seeleuten herausbilden werden. Erstens wird, wenn die Verheißungen der Automatisierung in Erfüllung gehen, eine kleine Anzahl hochqualifizierter und hochgeschätzter Arbeitskräfte benötigt, die als Schiffsbetreuerinnen und -betreuer fungieren.
In dieser Funktion werden wahrscheinlich Deck-, Ingenieur- und elektrotechnische Disziplinen kombiniert, wobei die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hauptsächlich mit der System- und Situationsüberwachung beschäftigt sein werden und gelegentlich auch eingreifen müssen. Es ist auch wahrscheinlich, dass diese Funktion eine Kombination aus Arbeit in dezentralen Einsatzzentralen an Land und Arbeit an Bord eines Schiffes beinhalten wird.
Die zweite Gruppe wird wahrscheinlich ausschließlich mit der Wartung von Schiffen beschäftigt sein und relativ gering qualifizierte, aber gefährliche Arbeiten für weniger Geld verrichten. Es ist möglich, dass wir anstelle der traditionellen Besatzungsstrukturen Teams von Menschen sehen werden, die nur dann als Besatzung agieren, wenn ein Schiff gewartet werden muss.
Obwohl es schon immer ein finanzielles Gefälle zwischen Offizierskräften und Schiffsleuten gegeben hat, war die Seefahrt traditionell ein hervorragendes Instrument zur Förderung der sozialen Mobilität. Heute ist es durchaus möglich, dass ein einzelner Seemann aus ärmlichen Verhältnissen als einfacher Seemann oder als Putzkraft in den Beruf einsteigt und sich im Laufe der Zeit bis zum Kapitän oder Chefingenieur hocharbeitet.
Mit einer geringeren Anzahl hochqualifizierter Stellen für hybride Schiffsoffiziersleute wird die Kluft zwischen dem oberen und dem unteren Ende nur noch größer. Dadurch sinkt die soziale Mobilität innerhalb der Branche und die Wahrscheinlichkeit, dass diejenigen, die in relativer Armut gefangen sind oder mit missbräuchlichen Praktiken skrupelloser Arbeitgeber konfrontiert werden, steigt.
Dies wirft eine Reihe von Fragen für die Organisationen auf, die den sozialen Bereich der Seefahrt ausmachen: Wie können Seeleute mit dem Wissen und den Fähigkeiten Schritt halten, die sie benötigen, um in diesem sich verändernden Umfeld erfolgreich zu sein? Wie können die Rechte und Interessen der ärmsten Beschäftigten im Seeverkehr geschützt werden, und wie können die Sozialleistungen in Zukunft erbracht und finanziert werden?
Die Qualifikationsanforderungen an die Arbeitskräfte der Zukunft werden ganz anders aussehen als heute, mit einer geringeren Anzahl von Personen, die dafür ausgebildet sind, die Gesamtverantwortung für ein Schiff zu übernehmen, sei es an Land oder auf See. Die Branche wird stark in diesen Qualifikationswandel investieren und dafür sorgen müssen, dass jeder, der mit dem Betrieb oder der Wartung einer Schiffsflotte zu tun hat, über die erforderlichen Qualifikationen verfügt, um diese Aufgabe zu erfüllen.
Allerdings wird es mit ziemlicher Sicherheit eine beträchtliche Anzahl von Seeleuten geben, insbesondere in den späteren Phasen ihrer beruflichen Laufbahn, die bei diesen Änderungen nicht mitkommen. Dies wird ein schwieriges Umfeld für den sozialen Sektor schaffen, wenn sich einige der bedürftigsten Seeleute nicht mehr an Bord der Schiffe befinden, sondern in Armut an Land leben.
Insgesamt wird in Zukunft ein ganzheitlicherer Ansatz in Bezug auf Kenntnisse und Fertigkeiten erforderlich sein, bei dem der Schwerpunkt stärker darauf gelegt wird, allen Mitgliedern der Seefahrtsgemeinde, einschließlich ihrer Familien, bei der Kompetenzentwicklung zu helfen. Dazu gehören die „Soft Skills“ und „Hard Skills“, die erforderlich sind, um die Sicherheit und das Wohlergehen einer Familie zu gewährleisten, sowohl während der Zeit auf See als auch nach der Rückkehr an Land.
Ob es um die Aufgabe eines Schiffes, um rechtliche Fragen oder um das Wohlergehen an Bord geht – für viele Seeleute kommt der Zeitpunkt, an dem sie jemanden brauchen, der ihre Interessen vertritt. Alle gemeinnützigen Organisationen und Gewerkschaften im Seeverkehr bieten eine Art Interessenvertretung für Seeleute an.
In jedem Fall kommt der Bericht zu dem Schluss, dass jetzt Maßnahmen ergriffen werden müssen, um sicherzustellen, dass ein Rahmen für die soziale Sicherheit geschaffen wird. Es muss eine globale Lösung für den Bedarf an sozialer Sicherheit gefunden werden, da die derzeitigen Modelle nicht ausreichen, um die Nachfrage zu befriedigen – ganz zu schweigen von der Zukunft.
Ende
„A Fair Future for Seafarers“ (Eine faire Zukunft für Seeleute) steht hier zum Download bereit: https://www.inmarsat.com/en/insights/maritime/2021/a-fair-future-for-seafarers.html.